Indem wir aufschreiben, was uns berührt, reflektieren wir zugleich.
Der Schmerz jedoch, mit dem wir zurückgelassen wurden, entfernt sich nie.
Wir lernen nur, damit zu leben.
Bei einer Internetabfrage, worüber Frauen sprechen wollen, ragte eins raus und zwar zum Thema Zwangsgedanken in und nach der Schwangerschaft.
Wohl eines der furchtbarsten Fremdgefühle, die man erleben kann, wenn man als Frau ein neues Leben erwartet oder gerade geboren hat.
Sie treten unerwartet und unverhofft auf.
Gesteuert durch Hormone, die ohnehin schon bei vielen Frauen einen massiven Einfluss auf den Alltag haben – wie während der monatlichen Menstruation: starke Unterleibsschmerzen, Kopfschmerzen (Migräne), geschwollene Gelenke durch Wassereinlagerungen, niederdrückende Stimmungsschwankungen, Unwohlsein. Und hatte man es all die Jahre nicht schon schwer genug mit hormonellen Qualen, melden sich schließlich die Wechseljahre. ( Ein anderes Thema)
Zwangsgedanken in der Schwangerschaft sind ein erdrückendes, aufdringliches, fremdgesteuertes Gefühl, das einem suggeriert, man könne sein Kind nicht anfassen. Man hat Angst, dem Kind etwas Fürchterliches anzutun. Sie beeinflussen den ganzen Alltag – ja, sogar ein ganzes Leben. Die Freude auf das Neugeborene wird unterdrückt, indem man sich körperlich distanziert.
Bericht einer Frau, in deren allen drei Schwangerschaften dieses Gefühl aufkam
Erste Schwangerschaft
In meiner ersten Schwangerschaft gehörte ich noch zu einer Generation, in der man über solche Gefühle nicht spricht. Fast 40 Jahre ist es her, und ich erzählte in den ersten zwei Schwangerschaften niemandem davon.
Ich ging damals in eine Bibliothek und suchte in der Psychologie‑Abteilung nach Antworten. Als ich etwas zum Thema fand blieb mir mit jedem weiteren gelesenen Wort schlug das Herz stärker und nahm mir den Atem – In den 1950er‑ und 60er‑Jahren wurde bei Zwangsstörungen Elektrokrampftherapie (EKT) angewandt. Bei diesen Versuchen starben viele Frauen ihre Kinder wurden ihnen entzogen.
Dieses hässliche Fremdgefühl machte mich wütend und erschöpfte mich. Ich wusste, es kam nicht von mir, und dachte, es sei vielleicht aufgrund meiner Misshandlungen in der Kindheit entstanden – komischerweise tröstete mich das etwas. „Gedankentröster“ schwebten ständig in meinem Kopf und waren, neben der Aufgabe, Mami eines Neugeborenen zu sein, absolut kräfteraubend.
Ich hatte nie über die Misshandlungen geredet, alles blieb unverarbeitet. In der Familie war es verboten, darüber zu sprechen. Ich schämte mich und beneidete Freunde, deren Eltern so liebevoll waren – kannte ich nicht. Vielleicht erlebte meine Seele deshalb einen solchen Stau.
Dieser tägliche innerliche Kampf und die Situation, in der ich mich befand (alleinerziehend), nahmen mir jede Freude am Leben. Ich wollte nur noch die Geburt hinter mich bringen, damit sich die Hormone stabilisieren und dieses hässliche Gefühl endet. Ich unternahm viel, um müde zu sein, wollte nicht allein sein. Doch das Gefühl blieb noch eine Zeit nach der Geburt und schwächte mein Selbstbewusstsein enorm.
Ich fühlte mich als Mutter nicht würdig, glaubte, mein Kind verdiene etwas Besseres als mich, und suchte nach Pflegeeltern – alles wegen diesem Gefühl. Viele verstanden das nicht, weil ich doch so um mein Kind gekämpft hatte. Ich weinte monatelang vor Sehnsucht.Zweite Schwangerschaft
Diesmal traten die Gefühle nach der Geburt auf. Ich wollte mein zweites Kind nicht wieder an diesem Gefühl verlieren und erzählte meiner Hausärztin von großen Ängsten, die mir den Atem rauben und das Gefühl von enge in Brust – doch nicht von den Zwangsgedanken. Sie meinte es wären Panikattacken, verschrieb ein sanftes Mittel und überwies mich zum Neurologen.
Dem Neurologen und Psychologen erzählte ich nur bruchstückhaft, aus Angst, eingewiesen zu werden oder mein Kind zu verlieren (wegen der Zeilen, die ich damals in der Bibliothek gelesen hatte).
Medikamente, Therapie, ständiger Kampf: Jedes Auftreten des Gefühls kostete unendlich viel Kraft. Ich brauchte immer jemanden bei mir und musste, wenn es kam, trotz Medikamente körperlich Distanz zu meinem Kind halten.Dritte Schwangerschaft
In der dritten Schwangerschaft meldeten sich die Gefühle schon früh und heftig – blieben nach der Geburt im Wochenbett. Ich weinte nur noch. Trotz vergangenen Therapien kam ich keinen Schritt weiter. Weinend öffnete ich mich meiner Gynäkologin:
„Ich glaube, Sie müssen mich einsperren … Dieses schreckliche Gefühl besucht mich in jeder , ich bin aber nicht dieses Gefühl und liebe mein Kind … Warum tritt es auf? Warum will es meinem Kind etwas antun? Ich bin kein Monster …“
Die Gynäkologin sah mich liebevoll an: und erwiderte mit sanftem Ton „Sie sind kein Monster, und man kann Ihnen helfen.“ Diese Worte waren erlösend und zugleich traurig – traurig, weil dieses Gefühl mein Leben so sehr bestimmt hatte und dadurch Entscheidungen traf die ich ohne diesem Fremdgefühl nie gemacht hätte.Das Gefühl hat mein ganzes Sein und meinen Lebensweg geprägt. Die Kraft, es jedes Mal beiseite zu schieben, war enorm – lebenserschöpfend.
Mittlerweile bin ich frei davon. Nach meiner Total‑OP am Unterleib und mit dem Eintritt der Wechseljahre lernte ich, mich selbst kennenzulernen, und kann meine Kinder heute ganz anders lieben. Bis heute habe ich meinem ersten Kind nicht erzählt, warum ich manche Entscheidungen traf, und niemand sonst weiß davon – immer noch aus Angst …
Diese Seite ist anonym, also lasse ich nun los und teile meine Erfahrungen . Ich hoffe, meine Worte geben anderen Frauen Kraft. Redet darüber. Holt euch Hilfe.